Soziale Medien, Helpful Content, AI-Tools und UX-Optimierung – Herausforderungen gibt es für die SEO-Branche gerade viele. Doch die meisten lassen sich mit der richtigen Herangehensweise bewältigen. Mehr dazu im Interview mit Julia Weißbach.
Die erste Hälfte von 2023 liegt schon wieder hinter uns. SEO-Expertin Julia Weißbach stellt im Interview die SEO-Herausforderungen vor, die uns weiterhin begegnen werden und wie wir sie lösen können. Wer keine Lust auf ein Video hat, findet unten auch noch einmal alles als Text.
Julia Weißbach ist seit 2019 Head of SEO bei Syzygy Performance, der Marketingagentur des Beratungsunternehmens Syzygy Group. Zuvor war sie unter anderem fünf Jahre Senior SEO Consultant bei explido.
Social SEO – Wie werden wir sozial?
Social SEO haben SEOs lange Zeit von sich weggeschoben. Dafür gab es Social Media-Teams. Dann kam jedoch die jüngere Zielgruppe, die Social Media plötzlich als Suchmaschine genutzt hat – Suchmaschinenoptimierung war gefragt. Das Potenzial von Social SEO sollte jetzt unbedingt genutzt werden.
Nehmen wir TikTok als Beispiel: Zuallererst müssen überhaupt Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Der Vorteil ist, dass es keinen Anspruch an Professionalität gibt, die Videos sollen selfmade wirken. Mit den Social Media-Teams oder mit TikTok-Creators können diese Videos erstellt werden.
Die anschließende Optimierung ist für SEOs (im Vergleich zu Google) dann eher simpel. Optimierungsmöglichkeiten gibt es bei TikTok nur beim Videoinhalt selbst und bei den Keywords.
Video Engagement ist in diesem Fall unser Rankingfaktor. Der Vorteil bei TikTok ist dabei, dass auch ganz neue Inhalte von Accounts ohne Follower angezeigt werden. Dadurch brauchen wir nicht erst eine Community als Basis, sondern können direkt starten und damit den Rankingfaktor Video Engagement pushen.
Helpful content – Wie schaffen wir Sinn?
Dass Google viel Wert auf qualitativen Content legt, sollte uns SEOs schon seit einer Weile klar sein. Denken wir beispielsweise an die E-E-A-T-Faktoren, an YMYL-Branchen. Bei jedem Stück Content sollte ich mich heute fragen: Kann und muss ich hier Erfahrung zeigen?
Wenn ich einen Reisebericht über London schreibe, dann sollte ich auch dort gewesen sein. Schreibe ich einen Produkttest, dann sollte ich das Produkt haben. Bei Krankheiten muss ich natürlich nicht selbst krank sein, brauche aber vielleicht medizinisches Fachpersonal für das Schreiben der Texte.
Diese Themen sind für uns nicht mehr neu. Trotzdem beschäftigen wir uns noch zu wenig damit, aber Google pusht uns immer weiter in die Richtung. Wenn wir unsere Seite hilfreicher gestalten wollen, müssen wir wirklich die komplette Seite betrachten.
Wir müssen unseren Content auditieren. Meist sind unsere Seiten historisch gewachsen, deswegen sollten wir checken, ob wir zum Beispiel irgendwo thin content – quantitativ wie qualitativ – oder veraltete Inhalte haben. Oder sogar einfach schlechte Inhalte haben, die nicht ranken oder vielleicht noch nie gerankt haben.
Wir sollten auch an Digital Assets denken. Haben wir mangelnde Varianz – Textwüsten, die Potenzial für Bilder und Videos haben?
Wenn man das gemacht hat, geht man in zwei Richtungen: Optimierung und Erstellung von Content. Dabei haben wir fünf Prinzipien:
- Sei ein Eichhörnchen: Sammelt Daten und Infos. Jedes Briefing ist hilfreich – welche Ziele, welche Zielgruppe, welcher User Intent? Wenn du hilfreich sein willst, musst du dich mit diesen Fragen beschäftigen.
- Vergiss das Eichhörnchen, werde zum Experten. Sammelt Expertise, bezieht euch auf relevante Quellen.
- Strukturiere dich: Ihr braucht eine ordentliche Struktur, einen User-orientierten Textaufbau. Ihr solltet auch die User Experience bedenken.
- Sei hilfreich. Jeder kann beurteilen, ob ein Text hilfreich ist. Auch die Texte auf Kategorie-Seiten können hilfreich sein. Man muss es bloß beurteilen und optimieren, wenn es nicht so ist.
- Monitore und tracke deine Artikel. Nur so könnt ihr daraus lernen und besser werden. Es ist normal, nach drei Monaten manche Dinge noch einmal anzugehen und zu optimieren. Nur so können wir die Relevanz unserer Seite weiter steigern.
AI – Was machen wir mit dem Tag der Abrechnung?
AI ist endlich da – für alle “Terminator”-Fans wie mich ein Highlight! Wie gehen wir jetzt mit künstlicher Intelligenz um?
Das Thema entwickelt sich gerade – nicht zuletzt durch ChatGPT – so rasant, dass wir versuchen müssen, am Ball zu bleiben. Es kommen immer mehr Player auf den Markt wie Google mit Bard, Meta mit LLaMA, SnapGPT (die un-kreativsten Trittbrettfahrer von allen) oder Neuroflash, Jasper, Dall-E.
Wir SEOs müssen jetzt gucken, wie wir AI für uns bestmöglich nutzen: Für die Content-Erstellung, für Inspiration und Recherche sowie für die Programmierung.
- Im Bereich Content nutzen wir AI schon, um zum Beispiel Texte umzuschreiben oder Gliederungen zu erstellen.
- Der Bereich Recherche und Inspiration ist ein Fass ohne Boden – im positiven Sinne. Du kannst mit AI quasi ganze Analysen durchführen, von Themenclustering über Recherche und User Intent-Auswertung.
- Im Bereich Programmierung hat AI uns SEOs technisch aufs nächste Level gehoben. Wir können uns ganze Webseiten programmieren lassen. Es geht noch nicht super gut, aber es geht.
Jetzt gerade können wir mit AI unsere Produktivität rasant steigern, ohne dass es uns aktuell bedeutend mehr kostet. Wir können uns ausprobieren und versuchen, neue Themenfelder zu erschließen.
Deswegen ist meine Empfehlung an alle, AI möglichst natürlich in die bestehenden Abläufe zu integrieren und eigene AI-Strategien zu entwickeln. Sich also bei allem zu überlegen: “What would AI do?”
UX – Wie kommen wir auf die UX-Seite der Macht?
Für mich ist die User Experience (UX) ganz klar ein Teil von SEO. Wir müssen langweilige, historisch gewachsene Webseiten-Konstrukte aufbrechen und den User mitbedenken. Für den User soll es ein Erlebnis sein, mit der Seite zu interagieren.
Es gibt zwei Perspektiven, aus denen wir das angehen: Die Vogel- und die Froschperspektive. Aus der Vogelperspektive betrachten wir das gesamte Domain-Konstrukt und hinterfragen die Navigation und Seitenstruktur. Navigationen sollten nicht wie Konfetti-Kanonen verwendet werden. Themen müssen relevant geclustert und ein Fokus festgelegt werden.
Natürlich spielen auch hier die Core Web Vitals und der Page Speed eine Rolle. Wie schnell eine Seite lädt und der Nutzer interagieren kann, hat einen riesigen Effekt auf die User Experience. Wir sollten aber auch über Magazinformate nachdenken und dem Nutzer mehr als nur nackte Produkte zeigen.
Aus der Froschperspektive schauen wir in die Tiefe der Seiten selbst hinein. Digital Assets, lokale Adaption spielen hierbei eine Rolle. Dass wir Interaktionen fördern und mit dem User in Aktion treten. Aus meiner Sicht passiert das gerade noch zu wenig.
Ein Positiv-Beispiel: der Brotaufstrich-Hersteller Noa. Die Produktdetailseiten sind sehr schön gemacht. Als User kannst du zum Beispiel per Mausbewegung den Deckel öffnen und siehst den Brotaufstrich. Das ist ganz einfach gemacht und steigert die Interaktionsrate extrem.
Und wenn wir über Magazine nachdenken, dann ist das die Chance, mit den Brand-Teams zusammenzuarbeiten. Als ich beim Autohersteller Seat gearbeitet habe, wollte sich Seat gerade in der Musikbranche etablieren. Wir haben Content erstellt und mit vielen Fachbereichen zusammengearbeitet. So hat sich die Marke letztendlich eine Community rund um Musik aufgebaut und sponsert Events wie das Reeperbahn Festival oder “The Voice Kids”. Sie haben eine Brand Experience für den User geschaffen.
Das alles sind Dinge, die wir alle umsetzen können. Wir müssen nur alte Konstrukte aufbrechen.